Worauf warten Sie?
1. Januar 2020Lass den Rebellen in Dir raus!
1. März 2020Worauf warten Sie?
1. Januar 2020Lass den Rebellen in Dir raus!
1. März 2020Dieser Blog ist ein wenig anders als meine bisherigen. Dieser Blog ist ein Erfahrungsbericht vom vergangenen Wochenende…ein Wochenende genauso erkenntnisreich wie schmerzhaft – im wahrsten Sinne des Wortes. Es geht um das Ausloten von psychischen und physischen Leistungsgrenzen. Aber lest selbst.
Dezember 2019
Beim Surfen im Netz bin ich per Zufall über die Seite www.24stundenburgenland.com gestolpert. Ein Rennen der besonderen Art. Es ist nämlich kein Rennen. Es gibt nicht einmal eine Zeitnehmung. Ziel ist es zu gehen. Im Winter. Rund um den Neusiedlersee. Verschieden Distanzen werden angeboten – ich habe mich für die zweitlängste Variante von 80 km interessiert. Und nachdem ich nicht alleine gehen wollte, habe ich einen guten Freund (Reinhard K.) gefragt, ob er mich begleiten möchte – was soll ich euch sagen…der Wahnsinnige hat ohne zu zögern einfach ja gesagt! Somit war das Ding fixiert. 80 km. Um den Neusiedlersee. Zu Fuß. Im Winter.
Ich möchte vorausschicken, dass Reinhard und ich ganz gut trainierte Hobbysportler sind, wir uns aber nicht auf den Marsch vorbereitet haben. Motto: „Desmochmascho!“ Wir sind ihn einfach aus Spaß an der Bewegung gegangen und vor allem aus Interesse daran, wie sich unser psychischer Zustand während des Events verändert.
24. Jänner 2020, 0700 – 1030 Uhr
1. Teilstrecke: Hegykö (Ungarn) – Apetlon, ca. 20 km
Es ist kalt am Start. Laut Handy minus 2 Grad, gefühlt minus 7 Grad. Zum Glück kaum Wind. Wir und ein paar hundert andere Verrückte warten ungeduldig auf den Beginn. Wir haben uns in ein paar Schichten Funktionswäsche gequetscht, schnell noch unsere Thermoskannen mit heißem Tee aufgefüllt, and here we go!
Die ersten Kilometer gehen fröhlich dahin, es wird gelacht, die wunderschöne und karge Natur bewundert und entspannt spaziert. Die anderen Teilnehmer machen einen entschlossenen, aber keineswegs verbissenen Eindruck. Es herrscht die Atmosphäre eines sportlichen Miteinanders vor. Wir wandern durch die Landschaft, während ich zwischendurch meinen übermütigen Begleiter zurückhalte:“ Nein, wir laufen nicht. Nein, wir gehen auch nicht schneller. Wir werden unsere Energie noch brauchen. Nein, wir gehen keine 3 Kilometer Umweg zum tiefsten Punkt Österreichs.“
Wir lachen, haben Spaß, plaudern über dies und das und kehren nach ca. 20 Kilometer in Apetlon in eine kleine Labestation ein. Es gibt heiße Suppe und Muffins – in Verbindung mit heißem Tee perfekt. Keine 15 Minuten später marschieren wir weiter.
Bisher eine Lappalie, den Hatscher pack ma mit links und barfuß.
1045 Uhr – 1415 Uhr
2. Teilstrecke: Apetlon – Podersdorf am See, 15 Kilometer (Gesamt: 35 km)
Zustand: hervorragend
Es geht weiter über endlose Felder, vorbei an unter Naturschutz stehenden Lacken und kleinen Seen – immer geradeaus über eine komplett flache Ebene. Wer hat hier Schluchtenscheißer gesagt? Man möchte ob der fehlenden Berge kaum glauben, dass man in Österreich ist. Wir freuen uns mehrfach darüber, dass es praktisch windstill ist – ich will gar nicht darüber nachdenken, wie es auf dieser Ebene sein muss, wo weit und breit kein Baum steht, wenn du hier frontalen Gegenwind hast (wie eigentlich hier üblich).
Es geht weiter gut dahin, ab und zu ein paar Fotos gemacht, manchmal ein paar Worte mit anderen Teilenehmern gewechselt – unsere Stimmung ist nach wie vor gut. Vorbei an Schilf und im Jänner nahezu ausgestorbenen Häusern, machen wir im Surfmekka Podersdorfunsere erste etwas länger Pause.
Es gibt wieder Suppe, und ich genehmige mir, neben dem obligatorischen Tee, einen elektrolythaltigen Hopfenblütentee mit Kräuterlimonade (vulgo Radler) – traumhaft.
Bisher eine Lappalie, den Hatscher pack ma mit links.
1445 Uhr – 1700 Uhr
3. Teilstrecke: Podersdorf am See – Neusiedl am See, 13 Kilometer (Gesamt: 48 km)
Zustand: hervorragend, gegen Ende müde
Wir erreichen unsere beste Etappe. Abgeleitet vom Laufen ziehe ich eine Analogie und sage wir kommen jetzt in unser „Walker’s High“. Wir marschieren zügig dahin, nichts tut weh, wir haben Spaß, erfreuen uns an der Landschaft und alles ist perfekt. Ein Schluck 12 Jahre alter Pyrat Rum aus Reinis Miniaturflachmann – das Leben ist schön. Das Wetter bleibt den ganzen Marsch über konstant wolkenverhangen, Tageshöchstwerte bei etwa plus 2 Grad Celsius.
Die Dämmerung beginnt langsam einzusetzen, wir beginnen etwas müde zu werden und kehren in die nächste Labestation in Neusiedl am See ein. Hier essen wir wieder etwas Suppe, Brot, Käse und Schokoriegel. Wir fühlen uns erstmals müde, nach dem Essen sogar richtig müde. Ein Blick auf die anderen Teilnehmer zeigt, dass wir damit nicht alleine sind. Die Menschen bewegen sich langsam und setzen sich mit lautem Stöhnen…müde Gesichtszüge rundherum.
Den Hatscher pack ma mit links.
1730 Uhr – 2015 Uhr
4. Teilstrecke: Neusiedl am See – Purbach, 16 Kilometer (Gesamt: 64 km)
Zustand: müde, erste Schmerzen machen sich bemerkbar, es wird hart, gefühlt sind diese 16 km ewig
Wir verlassen die Verpflegungsstation und es ist finster draußen. Stockfinster. Vor dem Start habe ich vermutet, dass der Marsch erst so richtig beginnt, wenn es abends dunkel wird. Kann Zufall gewesen sein, aber genau so war es. Nun trennt sich die Spreu vom Weizen. Mit eingeschalteter Stirnlampe wandern wir weiter – aufgrund der nach und nach vermehrt auftretenden Schmerzen entsprechend langsamer. Wir haben allerdings immer noch Spaß!
Mit Anekdoten von früher vertreiben wir uns die Zeit, spinnen Gedankenexperimente, werden philosophisch und reden dann doch hauptsächlich wieder Unsinn. Um uns herum können wir nur mehr wenige Teilnehmer ausmachen, Distanzen sind aufgrund der Dunkelheit nur mehr sehr schwierig einzuschätzen, und jeder Kilometer zieht sich länger und länger dahin.
Nebenbei überzuckern wir, dass die unsere Wegstrecke messende Uhr während unserer Pausen einfach weitergezählt hat, die Uhr also bereits mehr gegangene Kilometer anzeigt, als wir tatsächlich zurückgelegt haben und wir somit noch länger als gedacht nicht am Ziel sind. Optimal für die Motivation… Danke liebe Technik! 😉 Egal, wir wandern weiter im Dunkeln, und der Weg zur nächsten (und letzten) Labestation nimmt kein Ende. Dafür nehmen die Schmerzen zu. Wir haben aber schon vor dem „Rennen“ beschlossen, nicht zu raunzen – nützt ja doch nichts und aufgeben ist keine Option.
Die Temperatur hat sich mittlerweile bei konstant Minus 2 Grad eingependelt. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir endlich die letzte Labestation vor dem Ziel in Purbach. HALLELUJAH! Es gibt (wieder einmal) Suppe, Reis & Tee, alles im Freien in einem sehr netten Innenhof. Selten habe ich mich so über eine große Feuerstelle und einen Strohballen zum Sitzen gefreut. Ich schlürfe meine Hühnersuppe, Reini isst nichts mehr, und wir geben beide wohl ein ziemlich armseliges Bild ab. Die Ritter von der traurigen Gestalt… so traurig, dass uns eine andere Teilnehmerin fragt, ob wir auch den Shuttlebus ins Ziel nehmen – na aber fix nicht!
Den Hatscher pack ma.
2045 Uhr – 2335 Uhr
5. (und letzte) Teilstrecke: Purbach– Oggau, 16 km (Gesamt: 80 km)
Zustand: vom ersten Meter an fertig, wir reißen uns zusammen und marschieren weiter, Geist triumphiert über Körper, Schmerzen, wechselnde Stimmungslagen, es ist brutal
Wir packen uns zusammen und humpeln los. Humpeln meine ich wörtlich. Reini machen Blasen zu schaffen (war vielleicht nicht so schlau, die Schuhe nur 1x vorher länger zu tragen…), mir tut mein Allerwertester weh wie die Hölle, und die Bänder/Sehnen in meiner Kniekehle wollen auch nicht mehr. Das sind die dringlichsten Probleme, in Wahrheit schmerzt aber ohnehin alles. Ich lächle in mich hinein, weil genau jetzt die Phase beginnt, die ich vom psychischen Standpunkt her wirklich spannend finde. Leider ist sie mit gröberen Schmerzen verbunden, aber no pain – no gain.
Wir versuchen ein passendes Tempo zu finden, singen alte Lieder, erzählen uns schwachsinnige Geschichten und verblöden zusehends mit jedem weiteren Schritt. Klares Denken wird umso schwieriger, je mehr die Erschöpfung zunimmt. Wurscht, wir haben schließlich nicht vor, in der Sekunde ein Doktorat zu verfassen. Ich versuche zu lächeln (beeinflusst das Gemüt positiv), denke an schöne Dinge, wir sprechen über Themen, die wir cool und lässig finden, und zwischendurch fluchen wir…ordentlich, dreckig, gotteslästerlich und vulgär. Lang lebe die Psychohygiene!
Ewig kommt keine Ortschaft, es ist finster, es ist kalt und der Weg nimmt einfach kein Ende. Zwischendurch stehen immer wieder nette Freiwillige mit Tee und Schokolade am Wegesrand (DANKE an alle, die uns und die anderen Teilnehmer an diesem Tag unterstützt haben – ihr seid die Besten!) und muntern uns auf. Nicht, dass es in diesem Zustand noch viel nützt, aber es freut einen trotzdem ungemein. Ab und zu treffen wir noch auf andere Teilnehmer, man unterstützt sich, fragt, ob man helfen kann und plaudert ein paar Takte, um von den Schmerzen abzulenken.
Wir quälen uns weiter, unfassbarer Weise haben sich jedoch hier mitten im Burgenland ein paar ganz unglaubliche Höhenmeter eingeschlichen. Die findet man wahrscheinlich auf keiner Karte, aber wir sind sicher, dass sie da sind. Wir spüren sie bei jedem Schritt im ganzen Körper. Es ist spannend zu erleben, was machbar ist, obwohl der Körper rebelliert. Wieder einmal darf ich erfahren, wozu man fähig ist, wenn man etwas unbedingt will und sich zu 100% dazu comittet. Es ist hart, aber für uns beide machbar. Die Zielgemeinde Oggau nimmt als Ortschaft einfach kein Ende und dann, um kurz nach 2330 Uhr, stolpern wir beide endlich ins Ziel. Völlig fertig, aber glücklich! Geschafft! Gemeinsam!
Den Hatscher hamma packt!
Reflexion
Ich sage das selten, aber ich bin wirklich stolz darauf, was wir hier geleistet haben (Finisherquote lag bei nur 42%!). Wir haben diese Veranstaltung hauptsächlich aufgrund unserer positiven psychischen Haltung so gut überstanden. Natürlich war unsere gute physische Grundkonstitution die Voraussetzung, um überhaupt durchzukommen, aber letzten Endes hat uns unsere mentale Stärke ins Ziel gebracht. Gemeinschaft und absoluter Wille in Verbindung mit ein paar hilfreichen Techniken können Berge versetzen. Für unsere beruflichen und privaten Herausforderungen heißt das: es ist viel mehr möglich als wir glauben! Es sind unsere eigenen Glaubenssätze, die uns aufhalten und diese sind definitiv gut beispielsweise mit Coaching bearbeit- und damit veränderbar!
Danke jedenfalls Reini für diese gemeinsame, sehr eindrückliche, lehrreiche und gleichzeitig wunderbare Erfahrung!
Was für ein Trip!
feinschliff by the fabulous norbert hübner