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1. Mai 2020Die Idee
Im März und April 2019 bin ich den Camino del Norte gegangen. Für all diejenigen unter Euch die nicht die großartigen Weitwanderer sind: Das ist der nördliche Jakobsweg, der großteils direkt an der Küste entlang von Irun nach Santiago de Compostela verläuft. Ich könnte hier von ca. 830 km Fußmarsch durch eine traumhafte Landschaft berichten, von Begegnungen mit freundlichen Menschen, unzähligen freilaufenden Hunden, Regen und Schnee. Ich könnte berichten von 50 Betten Schlafsälen, kleinen Gastwirtschaften, Schmerzen an den unterschiedlichsten Stellen meiner Beine, Hagel, traumhaften Tapas und grottigem Fisch.
Mach ich aber nicht!
Das wird kein klassischer Reisebericht – davon gibt es ohnehin zuhauf im Netz. Ich möchte über die inneren Erkenntnisse berichten, die ein derartiger Weg mit sich bringt. Mir geht’s hier nicht um: „Ich habe das Licht gesehen, ab heute bin ich gläubig“. Über: „Ich habe alles falsch gemacht, doch jetzt bin ich geläutert und weiß wo mein eigentlicher Weg ist ramarama“. Bis hin zu: „Ich steige aus, werde Schafhirte in Neuseeland und flechte Hängematten für Kinder in der dritten Welt“. Nein, nichts dergleichen.
Ich möchte erzählen, was die Abwesenheit von Druck und Stress bei gleichzeitig im Überfluss vorhandener Zeit und täglicher stundenlanger Bewegung in der Natur mit mir gemacht hat.
Die innere Reise
Zu Beginn habe ich einfach nur Glück empfunden. Glück und Vorfreude auf Begegnungen mit unterschiedlichen Menschen, auf Ruhe und auf meine Wanderung in der Natur. Ich habe diese Wanderung ohne besonderes Ziel gemacht. Ich wollte mich nicht selbst finden – ich wollte einfach nur in aller Ruhe gehen. In der Natur. Allein.
Spannend war zu entdecken, wie problembehaftete Gedankenspiralen von Anfang an nicht vorhanden waren. Mir war klar, mein beruflicher Weg wird mich in die Selbstständigkeit führen, und ich hatte auch eine Ahnung, wo es mit meiner Selbstständigkeit hingehen wird. Es war interessant zu sehen, was passiert, wenn nicht laufend das Telefon läutet, MitarbeiterInnen etwas von einem möchten, man durch Social Media oder Fernsehen abgelenkt wird und auch keine Freunde einem von der Arbeit an einem selbst ablenken. Man wird im positivsten Sinn ganz auf sich selbst zurückgeworfen. Dieser Effekt war umso stärker, zumal ich oft tagelang gerade zu dieser Jahreszeit und auf diesem Weg keinen anderen Pilger gesehen habe. Perfekte Bedingungen, um sich treiben zu lassen.
Interessant war zu sehen, wie täglich mehr und mehr meiner längst verloren geglaubten Kreativität zurückgekommen ist. Abseits vom täglichen Hamsterrad und dem damit verbundenen beruflichen Wahnsinn habe ich begonnen zu schreiben…jeden Tag…ganz unterschiedliche Texte…etwas über meine Selbständigkeit… Kurzgeschichten…Betrachtungen der Natur…Tagebucheinträge…es war herrlich! Dadurch, dass man Zeit hat, und damit bin ich bei dem Kernpunkt dieses Artikels, beginnt etwas ganz Wunderbares: Die Gedanken fließen einfach dahin, scheinbar unproduktiv, sinnlos, zu nichts führend, aber genau das Gegenteil ist der Fall! Ich habe scheinbar auf Umwegen begonnen, Dinge klarer zu sehen. Ich habe während der Wanderung ganz nebenbei mein Leben gecheckt. Was läuft gut, was ist verbesserungswürdig, wo will ich hin, wie könnten konkrete weitere Schritte aussehen, was interessiert mich wirklich, wohin möchte ich mich entwickeln – beruflich wie privat, etc. Und ich habe diese Erkenntnisse niedergeschrieben, damit ich sie nicht vergesse. Ganz unglaublich was Freiheit gepaart mit Zeit bewirken kann. Ich hatte Zeit meine Gedanken zu ordnen, sie fließen zu lassen, sich bildende Ideen wieder komplett über den Haufen zu werfen und neu zusammenzubauen und das ganz spielerisch, ohne Zwang und vor allem ohne Ziel.
Diese Ziellosigkeit möchte ich besonders hervorheben. Es gibt Experimente die zeigen, dass eigentlich langweilige Tätigkeiten wie das Sortieren von Bohnen nach Farbe (oder in diesem Fall Gehen) Kreativität und Ideenreichtum erhöhen. Wenn man derartige Aktivitäten zudem in der Natur ausführt, ist der Effekt noch größer. Das ist einer der Gründe, warum ich meine Coachingsessions auch im Gehen in der Natur anbiete (Coaching in Motion).
Die Erkenntnis
Nach diesem Trip bin ich kein anderer, das war auch nicht das Ziel. Was sich aber verändert hat ist, dass ich wieder einen klareren Blick auf die Dinge habe und mir konkret vor Augen geführt habe, was ich mir vom Leben erwarte und was ich ebenso konkret dazu beitragen kann, dass diese Punkte auch eintreten. Als Beispiel hier einige der Themen, die ich mir vorgenommen habe:
- Ich arbeite nur mehr mit Menschen/Unternehmen zusammen, die ich irgendeiner Form gut leiden kann oder spannend finde – im besten Fall beides!
- Ich setze nur mehr Projekte um, die mich wirklich interessieren,
- Ich treffe privat wieder mehr Menschen.
- Ich nehme mir Zeit für mich – wofür auch immer.
- Freiheit ist ein unersetzliches Gut. Dementsprechend gestalte ich mein berufliches und privates Leben.
Jetzt ein Jahr später ist natürlich interessant, was von den „guten Vorsätzen“ übrig geblieben ist, was Bestand hatte. Antwort: 100% Umsetzung! Ich habe sämtlich Lebensbereiche, die für mich nicht mehr optimal waren, konsequent umgebaut, die Bereiche, von denen ich mehr wollte, entsprechend erweitert und neue Ideen zugelassen und ausprobiert.
Ich kann nur raten, sich selbst die Möglichkeit einer Auszeit zu schaffen. Dabei geht es nicht unbedingt darum monatelang um den Erdball zu cruisen (aktuell gerade ohnehin undenkbar), sondern sich immer wieder ganz bewusst kleine Pausen zu gönnen. Zeit, die man genauso verbringt, wie man das selbst gerne tun möchte. Ein gutes Buch lesen, Gartenarbeit, eine Runde Laufen gehen, mit Freunden philosophieren oder mit der Lebensgefährtin eine Nacht lang vor einer Netflixserie versumpern. Insbesondere die Pausen, bei denen man sich nicht ablenkt, sondern beispielsweise einfach nur ein zeitlang aus dem Fenster schaut, möchte ich hier hervorheben. Aber egal was es ist – Hauptsache es erfüllt einen selbst mit Freude. Sie sollten es sich Wert sein!
Kleiner Tipp: Es schadet nicht, sich seine dabei unter Umständen entstandenen (nicht erzwungen!) Vorsätze aufzuschreiben, bevorzugt per Hand und nicht am Laptop – das steigert laut aktuellem Stand der Gehirnforschung noch einmal die Wahrscheinlichkeit, dass die vorgenommenen Dinge auch wirklich von Ihnen umgesetzt werden.
Die tatsächliche Erkenntnis
Das vergangene Jahr war eine spannende Entdeckungsreise meiner selbst und in Wahrheit völlig unabhängig von meiner Wanderung. Letzten Endes hat nicht die Reise zu meiner Weiterentwicklung geführt, sondern die Zeit, die ich mir einfach genommen habe. Zeit in der Natur. Zeit, in der ich mich treiben habe lassen. Ziellos. Ineffektiv. Unproduktiv. Anachronistisch. Dazu Andre Heller: „Die wahren Abenteuer sind im Kopf und sind sie nicht im Kopf, dann sind sie nirgendwo.“
feinschliff by the fabulous norbert hübner